Methoden

ESMT-Workshop zur Integration von CO2 in die Rechnungslegung

Beitrag von Dr. Jenny Lay-Kumar, Regionalwert Research, und Prof. Knut Henkel, Hochschule Emden-Leer.
Berlin, 13.01.23

Am 13.01.2023 trafen sich über 30 Expert:innen auf Einladung von Katharina Beck, finanzpolitische Sprecherin von B‘90/Die Grünen und mehrerer Professoren der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin. „Enable a one-planet economy benefitting all“ – Bedingungen für eine Ökonomie zu schaffen, die innerhalb der planetaren Grenzen bleibt und zum Wohle aller ist. Diesem Leitstern folgte die gesamte Veranstaltung. Ziel des Workshops war es, einen Startschuss zu geben für das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, die technische Implementierung von CO2 in die Rechnungslegung gesetzlich zu verankern. 

Eingeladen waren Expert:innen aus Wissenschaft und Politik, Standardsetzer, Kreditinstitutionen und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, NGOs und Unternehmen sowie Verwaltung. Darunter waren Vertreter:innen der Ampelparteien sowie der Bundesministerien für Umwelt Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Finanzen und Wirtschaft und Klimaschutz (BMUB, BMF, BMWK). Seitens der Standardsetzer war der DRSC (Deutsches Rechnungslegungs Standards Committee) vertreten durch Präsident Georg Lanfermann und Forschungsdirektorin Dr. Kristina Schwedler, sowie das IASB (International Accounting Standards Board) mit Präsident Prof. Andreas Barckow.

Den Auftakt machten Prof. Jörg Rocholl, Präsident der ESMT, und Katharina Beck. Sie betonten das Potential des interdisziplinären Fachdialogs mit ambitionierten Zielen. Die Integration von CO2 besteht methodisch aus drei Schritten: 1. Der Messung von CO2-Emissionen (bzw. Negativ-Emissionen), 2. Die Monetarisierung, 3. Die Integration in die Bilanzierung, also in die Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung (GuV). Der Fokus des Workshops lag auf dem dritten Schritt, der Bilanzierung, da dieser bislang am wenigsten erforscht ist. Katharina Beck betonte ihre Wertschätzung für die doppelte Buchführung, die es nun zu erweitern gilt, so dass sie zu einer one planet economypasst. Dabei ist es nötig, sich außerhalb etablierter Denkstrukturen zu bewegen. Gesucht ist ein Praxisansatz, der zu wirklicher Veränderung führt.

Prof. Maximilian Müller, Universität zu Köln, Prof. Per Olsson, Fakultätsdekan ESMT, und Dr. Hanna Setterberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin der ESMT, stimmten die Teilnehmenden ein: Pro Kopf CO2 Emissionen müssen dramatisch sinken, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Accountants könnten einen wesentlichen Beitrag zur „Weltrettung“ leisten. Denn im Accounting spiegeln sich die Folgen von Klimaschutz-Maßnahmen auf Unternehmensebene bereits jetzt zum Teil wider, wie beispielsweise CO2-Zertifikatehandel und Carbon Tax, aber eben nicht vollumfänglich. Wichtig sei es, Brücken zu schlagen zwischen der bisherigen Rechnungslegungspraxis und einer zukünftigen. Reicht eine reine Berichterstattung von CO2-Emissionen bspw. im  Lagebericht aus oder wäre eine Integration dieser in die Bilanz und GuV der Unternehmen letztendlich die konsequente Weiterentwicklung der bisherigen Buchhaltung hin zu einer nachhaltigen und damit vollständigeren Bilanzierung? Zwischen diesen beiden Extremen besteht ein Kontinuum. Während die Berichterstattung von CO2-Emissionen nach dem neuen europäischen Berichtsstandard CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) „lediglich“ im Lagebericht in physischen Einheiten erfolgen kann, braucht es bei einer Integration in die Bilanz und GuV die Umrechnung in monetäre Einheiten, gleichauf mit anderen Finanzkennzahlen. 

Verschiedene Optionen denkbar  

Bei der Integration sind grundsätzlich verschiedene Varianten einer bilanziellen Abbildung denkbar. Drei davon wurden innerhalb des Workshops experimentell durchgespielt und die Vor- und Nachteile diskutiert. Die Grundannahme war, dass betriebliche CO2-Emissionen gemessen und monetarisiert werden können. In allen drei Fällen würden die CO2-Kosten (carbon expense) ebenfalls in der GuV als Aufwand erfasst. 

 

1) Liability-Option 2) Equity-Option:  3) Asset-Option
Die CO2-Emissionen werden als Verbindlichkeit gegenüber der Gesellschaft (liability to society) auf der Passivseite eingestellt. Die Gesellschaft wird in Höhe der CO2-Emissionen Miteigentümerin des Unternehmens. Daher ist der Gegenwert der CO2-Emissonen als Teil des Equity (Passivseite) zu erfassen. Die Vermögenswerte des Unternehmens werden um die Höhe der CO2-Emissionen als Schadenskosten gemindert.

 

Impulse

Prof. Dr. Andreas Barckow, Präsident des IASB, stellte den aktuellen Stand zur Integration von CO2 in die Rechnungslegung dar. Er betonte, dass die Rechnungslegung strengen Regeln unterliege, was bilanziert werden dürfe. So dürfen nur Ereignisse des abgelaufenen Geschäftsjahres, nicht aber zukünftige Ereignisse bilanziert werden. Die Teilnehmer:innen diskutierten daraufhin, inwiefern Investor:innen und andere Anspruchsgruppen wirklich nur vergangene oder nicht auch zukunftsbezogene Nachhaltigkeitsdaten erhalten möchten und insofern der Fokus nicht eher auf einer Stakeholder-Bilanz liegen müsse. Die fehlende Verbindung (missing link) zwischen Absichtserklärungen (company pledges) und Finanzberichterstattung müsse geschaffen werden. Dazu gehöre, dass CO2 (prototypisch für weitere Nachhaltigkeitssachverhalte) cashflow-relevant werde und Transitionspläne abgebildet werden könnten. Ein weiteres Augenmerk lag auf der Kompatibilität der deutschen, dem Vorsichtsprinzip unterliegenden, Berichterstattung, mit der europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) und der internationalen Nachhaltigkeitsberichterstattung (IFRS SDS).

Es folgte ein Impulsvortag von Axel Franck von Ramboll Management Consulting, der erläuterte, worauf bei der Messung und Bepreisung von CO2 Äquivalenten zu achten ist.  Da es keinen fixen internationalen Preis gibt, spielt bei der internen Bepreisung eine wichtige Rolle, dass klare Maßeinheiten, Zeiträume und Systemgrenzen festgelegt werden. Zudem sei transparent wichtig, als bekannt ist, welche Stakeholder involviert wurden und welche CO2-Zertifikate gekauft wurden. Standards und Rechenprogramme wie die SBTi (Science Based Targets initiative), CDP (Carbon Disclosure Project) und das GHG (Greenhouse Gas Protocol) dienen als Orientierung. 

Im Anschluss wurden zwei bereits bestehende methodische Ansätze zur Integration von CO2 in die Rechnungslegung vorgestellt. Dr. Jenny Lay-Kumar, Regionalwert Research gGmbH, und Prof. Knut Henkel, Hochschule Emden/Leer, präsentierten Sustainable Performance Accounting (SPA). SPA stellt eine Methodik zur Erfassung, Bewertung, Monetarisierung und Bilanzierung jeglicher Nachhaltigkeitssachverhalte dar und basiert auf „Richtig rechnen“ von Christian Hiß. SPA folgt den Regeln der klassischen Rechnungslegung mit Ansatz, Bewertung und Ausweis. Nachhaltigkeitssachverhalte werden in einer separaten ESG-Buchhaltung erfasst. Somit ist eine integrierte Rechnungslegung, also zusammen mit den Daten aus der Finanz-Buchhaltung, jederzeit möglich. Vorgestellt wurde ein Buchungsbeispiel, in dem die Finanzkennzahlen zweier grundsätzlich identischer Unternehmen miteinander verglichen wurden. Allerdings war das eine Unternehmen nachhaltiger als das andere, da es seine CO2-Emissionen durch die Investition in eine CO2-Filteranlage reduzierte, während das andere business as usual betreibt. Es konnte gezeigt werden, dass erst durch die buchhalterische Berücksichtigung des Aufwandes aus den CO2-Emissionen in der ESG-Buchhaltung sich das nachhaltige Wirtschaften auch positiv auf die Finanzkennzahlen auswirkte.

Prof. Dr. Knut Henkel & Dr. Jenny Lay-Kumar

Altan Günsoy, CEO Global Climate GmbH, präsentierte einen Vorschlag zur Integration von COin die Rechnungslegung, bei dem eine automatisierten Berechnung der CO2-Emissionen analog der Systematik des Greenhouse Gas (GHG) Protocol erfolgt. Zudem beinhaltet der Vorschlag einen branchenabhängigen Freibetrag sowie die Nutzung eines Moratoriums mit Ausschüttungssperre, falls unternehmerische Klimaziele nicht eingehalten werden.

 

Altan Günsoy, CEO Global Climate GmbH

Diskussion der Optionen

In der folgenden Gruppendiskussion wurden die o.g. Bilanzierungsoptionen diskutiert. Option 1 (Liability-Option) warf folgende Fragestellungen auf: Bislang wären Rückstellungen für CO2-Emissionen (außerhalb des CO2Zertifikatehandelregimes) in der Finanzberichterstattung nicht ansatzfähig, da es sich um eine Innenverpflichtung handeln würde. Für einen Ansatz in der jetzigen Finanzberichterstattung bedarf es einer Außenverpflichtung, also beispielsweise einer gesetzlichen Grundlage, die dann verpflichtend zu einem Cashflow-Abfluss und damit Verbrauch der Rückstellung führt. Bei der Bilanzierung einer CO2-Rückstellung ohne Außenverpflichtung stellt sich die Frage, wie diese aus der Bilanz wieder ausgebucht wird. Dies könnte bspw. durch eine freiwillige CO2-Kompensationszahlung erfolgen, bspw. für ein Aufforstungsprojekt. In diesem Fall erfolgt ein aufwandsneutraler Verbrauch der CO2-Rückstellung. Wie gestaltet sich in diesem Kontext die Bilanzierung von sog. Negativemissionen (CO2-Sequestrierung)? Während hohe CO2-Emissionen zum Nachteil einer Unternehmung würden, würde eine Dekarbonisierung entlohnt werden. Klarer Vorteil dieser Variante wäre die deutliche Sichtbarkeit der Schadenskosten als Schulden einer Unternehmung.

Option 2 (Equity-Option) käme einer stillen Beteiligung der Gesellschaft an Unternehmen gleich und würde eine zunehmende Verschiebung in den Eigentumsverhältnissen schaffen. Diese Variante hätte insbesondere symbolisch einen starken Wert, könnte jedoch eine Enteignungsdebatte nach sich ziehen, die einer zügigen Umsetzung – und damit Wirksamkeit – des Vorschlags entgegenstünden, so die Einschätzung der Teilnehmenden. 

Option 3 (Asset-Option) würde die Werthaltigkeit von Vermögensgegenständen /-werte betreffen und zu einer entsprechenden Abwertung dieser führen. Dies hätte laut Einschätzung der Teilnehmenden erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen und würde deutlich aufzeigen, welche Assets tatsächlich einen bleibenden Wert haben. Es würden sich jedoch viele praktisch-technische Fragen ergeben: Wie würde das Gegenrechnen von Rückstellungen und Investitionen funktionieren? Wie wäre abzuschreiben? Ggf. müssten neue, synthetische Posten, wie „negative Zukunftsaussichten“ gebildeten werden. Um die Zurechnung von CO2 zu Produkten bzw. Produktionsstrukturen transparent zu machen, wurde u.a. vorgeschlagen, die Ursachen der jeweiligen CO2-Emissionen zu benennen oder systematisch den Assets zuzuordnen. Daraus könnte sich eine umfassende Diskussion ergeben, welche Assets zukünftig noch werthaltig sein werden. In der Folge wäre es notwendig, dass die Restlebensdauer von Produktionsstätten unter zu erwartenden CO2-Restriktionen strenger zu bewerten und ggf. Sonderabschreibungen vorzunehmen wären. In der folgenden Abstimmung wurden die Optionen 1 (liability) und 3 (asset) nahezu gleich bewertet, die Option 2 (equity) dagegen fand kaum Zustimmung. 

Katharina Beck, Finanzpolitische Sprecherin Bündnis 90/Die Grünen

Abschluss

In der Abschlussrunde wurden zentrale Begriffe Bewertung, Transparenz, Incentivierung und Bilanzierung nachhaltigen Handelns sowie Brücken schlagen genannt. 

Einige der diskutierten Vorschläge benötigen eine Änderung des Handelsgesetzbuchs (HGB), wie im Koalitionsvertrag anvisiert. Andere, wie die unternehmensinterne CO2-Bepreisung sowie eine separate ESG-Nebenbuchhaltung, können schon ohne Gesetzesänderung angewendet werden. Bislang sehen nur wenige Unternehmen den entsprechenden Handlungsbedarf, dementsprechend freiwillig zu bilanzieren. 

Ziel sollte aber sein, dass die CO2-Emissionen nicht nur transparent gemacht werden, sondern auch entscheidungsrelevant sind. Ein CO2-Preis muss politisch einheitlich festgelegt werden, damit eine Vergleichbarkeit der Unternehmensberichterstattung gewährleistet bleibt und nicht unterschiedliche Rechnungen nebeneinander kursieren. Im Folgenden wird die Aufgabe sein, ein stufenweises Vorgehen zu entwickeln, um transparent und vergleichbar Nachhaltigkeitssachverhalte, zu messen, zu bewerten, zu bilanzieren und offen zu legen. Um eine one planet economy zu ermöglichen, müssen wir ein Level Playing Field aufbauen, in dem CO2 – und später weitere Nachhaltigkeitssachverhalte – in die betriebliche Erfolgsrechnung integriert werden.

In den folgenden Monaten werden weitere Diskussionen und Ausarbeitungen in Kleingruppen folgen unter Leitung von ESMT und Katharina Beck.

 

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